geopoet

  • Glossar
  • Performance
  • Shop
  • Aktuell
  • Kontakt
Musterbuch

VEXAT – Zwei Versalzungsanlagen


Ein Salzkriechprozess ist langsam, sehr langsam. Er braucht Zeit. Ausstellungen flattern dagegen derart schneller über die Wände, daß im Resultat beinah schon wieder nackte Wand zu resümieren ist, … ein leicht buntes Flimmern, ein auratischer Glanz verschwimmend, schwindend … Kunst viel leicht jeden falls trans parent quasi un sichtbar.

Der Weltbekannt e.V. mietete seinerzeit Schaukästen im Bereich der U-Bahnhöfe des Hamburger Hauptbahnhofs für Kunstausstellungen an. Die Kunstinstallationen in den Schaukästen sollten auf die Umgebung der Schaukästen Bezug nehmen. 

Es gehörte zu den erstaunlichen und mutigen Fähigkeiten des Weltbekannt e.V. Hamburg, daß er tatsächlich 3 Monate für eine Ausstellung zur Verfügung stellte, in der Materialeigenaktivitäten Zeit bekamen. Ich war an Christel Burmeier herangetreten ob der Ausstellung meiner Salzkriechperformances in den Schaukästen des Vereins in den U-Bahnhöfen am Hamburger Hauptbahnhof.

Der Verein nahm sich des Vorhabens an, Christel Burmeier übernahm die kuratorische Betreuung, holte Tonia Kudrass und Thomas Stordel mit je eigenen Beiträgen ins Projekt und unter dem gemeinsamen Titel „VEXAT“ begannen über den Jahreswechsel 1991 hinweg drei Monate ultralangsamer Beweglichkeit.

Tonia Kudrass baute, „VEXAT – schwarze Löcher, rote Zwerge“, eine Sandverrieslung um das nackte, schwellende Innenleben von unbemalten, altfleischrosa Kunststoffgartenzwergen in einer großen Vitrine am Zentralen Omnibus Bahnhof HH. Man konnte durch ein Bodenloch in die Zwerge hineinsehen. Tomas Stordel baute ebenfalls am ZOB eine kleine Vitrine zu einer Art Gesundheitstherme um, „VEXAT –Inhalatorium“, mit heißem, gesundem, verdunstendem elementarem Schwefel. Die beiden Installationen waren auch Reaktion auf das damals desaströse Ambiente von Gewalt und Drogenkonsum im Bereich des ZOB und der U1 Tunnel.

U2 Röhre wird zwischen Hauptbahnhof und Kunsthalle zum Bahnsteig

Das System U-Bahn – die Betriebssicherheit – Anorganisches in quasiautnomer Expansion – angegriffenes Notfallgerät: meine unterirdischen Pläne machten die Einrichtung von HOT CELLS nötig – hinter Glas – wenn schon Gefahr, dann wenigstens außerdem schön – U2 & U1.

Gefahr? – Erstens, das Salz kriecht, die Eigendynamik anorganischer Materie im Bedingungsgefüge ihrer Umgebung. Das, was an Geräten, Elektroleitungen, Rohren und Schienensträngen als Korrosion bekämpft wird, sollte als ultralangsame Bewegung von Kochsalz bemerkbar und mehr als nur ästhetisch relevant werden dürfen. Die Urinitiative, die aus dem Anorganischen über die Evolution u. a. zu technischen Systemen wie den U-Bahnbauten führte, ist angesichts der Komplexitätshöhe und Anfälligkeit der technischen Systeme heute zur Bedrohung geworden.

Auf der technischen Höhe des Systems U-Bahn sodann zweitens: Der Meister des Systems selbst als korrosive Kraft. Ein Fahriges im Verhalten des Menschen zermürbt auch ausgeklügelte Sicherheitssysteme. Der Feuerlöscher fehlplaziert fahrlässig zum Beispiel oder die Notbeleuchtung unzulässig montiert unzuverlässig sind selbst Kumulationspunkte von Katastrophen (wie sich das Unheil aufbaut — die Rolle all der Versehen und Schlampereien, die gemeinhin zu „unhaltbaren Zuständen“ führen, übernahm in diesem Fall der künstlerische Wille) und werden Kulminationspunkte (im entscheidenden Moment versagt die letzte Rettung) in denen sich wie Salz kriechende, schleichende Vorgeschichten in Unglück wenden.

Die U2 Vitrine im SpiegelU2 Installation von rechts

Die Begegnung der beiden korrosiven Dynamiken sollte innerhalb der Hot Cells gefeiert werden, während ein dichter Einschluß den Übergriff der Prozesse auf den laufenden Bahnbetrieb verhindern sollte. So ist Kunst. Das kleine Fest als eine Einladung ins große, welches sich selbst überall feiert, Korrosion ist nirgends nicht. Entsprechend hatte ich einige Male aufschlußreiche Kontakte mit Sicherheitsbeauftragten der Hamburger Hochbahn (so heißt seltsamerweise das Unternehmen, welches das Hamburger U-Bahnnetz betreibt). Über die zahlreichen Detailfragen – Feuchte, Hitze und elektrischer Strom in virulentem Zusammenhang, elektrische Sicherungen, die Glasscheibe könnte platzen, rotes Licht in Richtung einlaufender Züge kann zu Fehlreaktionen der Fahrer führen, … kam es zu einer interessanten Zusammenarbeit. Die „Zelle“ konnte endlich „heiß“ bleiben und war fachgerecht abgesichert. Notausgangsleuchten (U2) und Feuerlöscher (U1) konnte ich so in die Schaukästen einbauen, daß sie als Elemente eines unsicheren, salzattackierten Sicherheitssystemes erschienen. Im Hintergrund jedoch wirkten besondere Sicherungen. 

Zur Ästhetik der Hamburger U-Bahn gehört eine gekachelte Optik, welche die Bahnhöfe nicht vom Eindruck des Unsauberen und Klebrigen befreien kann, obwohl sie Reinigungsfreundlichkeit ausstrahlen soll. Es ist, als folge dieser schmuddelige, unterschwellig unheimliche Eindruck einer heimlichen Absicht, die Reisenden auf die Tunnel selbst vorzubereiten, in denen Leitungen nackt über die Wände laufen, grau, staubverkrustet, grob hingepinselte Dichtungen und Rostschutzflecken, Eisengeruch von Funken, alles im Dunkel eher verschwindend als daraus auftauchend hetzt es auf der Fahrt vorbei, kaltweiße Neonlampen. Man befindet sich in einem Netz von Röhren, durch das wiederum andere Netze von Leitungen und Rohren laufen … Sicherheitsgefühl beruht hier wie gewohnt mehr auf Verdrängung der aus tieferen Tunneln aufsteigenden Ängste, als darauf, daß man das System überprüft hätte.

Auf den Bahnsteigen sind es lediglich die Werbeschaukästen und Plakate, die bunt von der beunruhigenden Atmosphäre etwas ablenken. Davon mußten meine Hot Cells weg. Ich wollte rohe Rohre in den Schaukästen, einen laugenfesten, funktionalen, aber grob hingemachten Wandanstrich, dubiose, kalte Beleuchtung, als gäbe es einen Blick hinter die Schaukästen, hinter die Kacheln – der U-Bahnhof ist selbst schon Tunnel.

 

Es gab eine Begleitveröffentlichung zum Vexatprojekt, eine kleine Kassette (A6) mit Beiträgen der beteiligten Künstler: „space pilot 11 – 1 bis 3″, Weltbekannt e.V., 1991. Hier finden Sie meinen Beitrag. (pdf 2MB)

 

geopoet.de / WordPress