Weiß
Ich lag in meinem Bett, warm zugedeckt und glitt langsam dem Schlaf entgegen. Mittagsschlaf, Sommer, ich war sechs, das Kinderzimmer war dunkel, und ich hatte mich schon so weit aus dem Tag zurückgezogen, daß die Atemzüge meiner Brüder, selbst der alltägliche Lärm von draußen mich nicht mehr erreichten. Aber während ich gewöhnlich in meinem Bett, im weichen, heißen Anschmiegen der Federdecke die wohlige Sicherheit fand, die mir in die Bewußtlosigkeit hinüberhalf, entstand diesmal an Stelle dieser Berührung ein Gefühl der Aufblähung, ein Anschwellen meiner Arme, Hände, Beine, Rücken, Bauch schwollen in einer haltlosen Elephantiasis an, während ich voller Angst reglos lag. Wahrscheinlich hatte die mich umhüllende Bettwärme die Empfindung von Entgrenzung vorverlegt, die den Raum des Traumes bildet, und hatte im Halbschlaf, da das deutliche Gefühl vom Kontakt mit dem Bettzeug nicht zu tilgen war, sich mit der Wahrnehmung meiner Körpergrenze so vermischt, daß mir war, als wabere in dinglicher Intensität, sozusagen materiell verselbständigt diese Berührung als meine Haut, als mein Körper nach außen,weiter und immer weiter. Eigenartigerweise war diese Expansion nicht etwa von einem unheimlichen Dunkel begleitet, sondern von überaus strahlender, milchig diffuser Helligkeit, einer undifferenzierten weißen Nacht. In diese Nacht hinein – hatte ich die Augen auf oder geschlossen? – verlor sich Stück für Stück das gesamte Inventar meiner Umgebung. Es gab anscheinend kein Halten für diesen Zerfall, hinter dem ich eine umfassende Leere spürte. Über kurz oder lang würde der letzte Vorrat von Welt aufgebraucht und meine ins helle Weite geblähte Hülle, ich restlos, würde hauchdünn verweht. Irgendwo in diesem weißen Sog hatte meine Todesangst ihren unfaßbaren Ort, und dort wohl lag auch der Angelpunkt, um den in letzter Panik der Vorgang sich wendete und zurückzuschwingen begann. Allerdings hielt die Flucht der Gegenstände so schwerfällig an, war ihre Umkehr mit solcher Kraftanstrengung verbunden, so wenig ging es von allein, daß ich immer unmittelbarer wußte, der Wille dahinter lag in mir. Und also tat ich es, wenn alles einzeln sich wieder einfand, zusammenzog, sich gruppierte, plazierte, Ding für Ding ineins, Schritt für Schritt, bis ich mich im Treppenhaus wiederfand, wo ich weinend, ans Geländer geklammert, unfähig zu rufen, um Halt nach meinen Eltern schrie.